Grenzgänge. Vom Imperium Romanum zu den regna Francorum. 4.-7. Jahrhundert

Grenzgänge. Vom Imperium Romanum zu den regna Francorum. 4.-7. Jahrhundert

Organisatoren
Abteilung für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte, Abteilung für Alte Geschichte, Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bonn; Verein für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.09.2016 - 27.09.2016
Url der Konferenzwebsite
Von
Tobias Tenhaef, Zentrum für Historische Friedensforschung der Universität Bonn, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Am 26. und 27. September 2016 fand im Bonner Universitätsforum die Herbsttagung des Vereins für die Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande zum Thema „Grenzgänge. Vom Imperium Romanum zu den regna Francorum“ statt. Sie wurde in Kooperation mit dem Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn organisiert. Ihr Untersuchungsraum war das Rheinland, Grenzgebiet des Reiches und komplexe Zone des Kulturkontaktes.

Nach einer Einführung durch ALHEYDIS PLASSMANN (Bonn) bot MATTHIAS BECHER (Bonn) in seinem Eröffnungsvortrag „Kontinuität und Diskontinuität. Herrschaft zwischen Spätantike und Frühmittelalter“ einen Überblick über die Geschichte der deutschsprachigen Historiographie zum Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter. Diese sah spätestens seit Otto Brunners „Neuer Verfassungsgeschichte“ einen radikalen Bruch zwischen der (politischen) Kultur des Römischen Reiches mit seinem unpersönlichen Staatsverständnis und dem auf personalen Bindungen beruhenden Herrschaftsbegriff des Mittelalters. Eine empirische Überprüfung dieses Konzeptes am Beispiel der fränkischen Könige beim Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter zeige aber, dass der Übergang vom imperium Romanum zum regnum Francorum mehr ein gradueller, durch innerrömische Dynamiken angetriebener Wandlungsprozess war, weniger ein durch äußere Faktoren verursachter, radikaler Bruch.

Anschließend betrachtete MISCHA MEIER (Tübingen) die römische Seite der spätantiken Wandlungsprozesse. Ausgehend von dem Diktum, der weströmische Feldherr Flavius Aëtius sei der letzte Römer gewesen, unterzog Meier die Quellen für dieses Bild einer analytisch scharfen Kritik. Das Bild der Nachwelt von Aëtius beruht im Wesentlichen auf erzählenden Quellen oströmischer Provenienz, die erst seit dem frühen 6. Jahrhundert einsetzen. Vor dem historiographisch konstruierten Hintergrund einer totalen Degeneration der übrigen Spitzenpolitiker hoben sich Aëtius und sein von ihm ermordeter Konkurrent Bonifatius als „letzte Römer“, auch und gerade moralisch verstanden, ab – weil es ihnen als einzigen gelungen war, überhaupt einmal erfolgreich gegen „Barbaren“ zu kämpfen. Dass diese Charakterisierung ein ausgesprochen vergiftetes Lob gewesen sei, werde aber aufgrund der Tatsache deutlich, dass Aëtius für die oströmischen Geschichtsschreiber vor allem ein kaltblütiger und skrupelloser Machtpolitiker war.

Die komplexe Ethnogenese der Franken war das Thema des Vortrags von ANDREAS POPESCU (Kamp-Lintfort). Nach systematischer Analyse aller Quellenstellen, an denen seit dem 3. Jahrhundert von „Franken“ die Rede ist, kam er zu dem Ergebnis, dass mit „Franken“ zunächst alle Kämpfer nichtrömisch-germanischer Herkunft gemeint waren, die sich primär einer Art des irregulären Kampfes bedienten. In der Zeit zwischen ca. 400 und 470 gingen zahlreiche dieser germanisch-stämmigen Kämpfergruppen in Nordgallien Bündnisse mit Teilen der regulären römischen Armee, bereits ansässigen foederati und aufständischen Teilen der Landbevölkerung ein. Aus dieser „nordgallischen Koalition“ formte Chlodwig nach 470 einen exercitus Francorum, mit dessen Hilfe er als rex in der Nachfolge des Römischen Reiches die Ordnung im nordgallischen Raum wieder herstellte. Dies verlangte auch den dauerhaften Ausgleich zwischen den Interessen des galloromanischen Senatorenadels und der Landbevölkerung einerseits und den Kriegern des nun als „fränkisch“ definierten Heeres andererseits. Das Ergebnis der entsprechenden Bemühungen Chlodwigs und seiner Nachfolger lässt sich etwa in der Lex Salica fassen, die das tägliche Miteinander zwischen bäuerlicher Landbevölkerung und stehendem Heer regeln sollte.

GERTRUD KUHNLE (Straßburg) erweiterte den Fokus der Tagung räumlich auf das Gebiet des Oberrheins, indem sie die archäologisch fassbare Geschichte des Legionslagers Straßburg darstellte. Seit dem Ende des 1. Jahrhunderts befand sich auf dem Gebiet des späteren Straßburg das Lager der 8. Legion. Die übliche Holz-Erde-Ummauerung wurde ab der Mitte des 2. Jahrhunderts in Stein ausgeführt und am Übergang vom 3. zum 4. Jahrhundert vollständig neugebaut. Zwischen 350 und 370 lassen sich auf dem Gelände des Legionslagers erste Spuren einer zivilen Bevölkerung nachweisen, mögliche Kirchenbauten datieren in die Zeit zwischen dem 5. und dem 7. Jahrhundert. Für das 6./7. Jahrhundert ist ein Grubenhaus nachweisbar. Allerdings bestanden selbst im 10. Jahrhundert im Wesentlichen noch die römischen Besiedlungsstrukturen, auch die Mauer wurde beständig gepflegt und ausgebessert, sodass der Eindruck einer deutlichen Besiedlungskontinuität entsteht.

An den Niederrhein zurück führte der Vortrag von STEFAN CIESIELSKI (Bonn), der von ersten Ergebnissen der jüngsten Grabungen in Bonn-Castell berichtete. Die ältesten dabei freigelegten Brandbestattungen datierten in die Mitte des 1. Jahrhunderts nach Christus. Für die Zeit vom 2. bis 3. Jahrhundert ließen sich am Ort des Gräberfeldes eine römische Zivilsiedlung und die Überreste einer Töpferei nachweisen. Das Ende dieser örtlichen Zivilbesiedlung könnte mit dem Frankeneinfall von 274 in Zusammenhang stehen, seit dem 4. Jahrhundert seien auf dem Gebiet nur noch Körperbestattungen nachzuweisen, zugleich gebe es seit dieser Zeit erstmals innerhalb der Mauern des Legionslagers Anzeichen für eine zivile Bevölkerung. Seit dem Ende des 4. Jahrhunderts kämen Grabbeigaben hinzu, die man von archäologischer Seite her, mit aller gebotenen methodischen Vorsicht, als „germanisch“ zu bezeichnen pflege. Die jüngste Bestattung datiere aus der Zeit um 450.

Eine numismatische Perspektive auf die Staatlichkeit des frühen Merowingerreiches bot JÜRGEN STROTHMANN (Siegen), der in seinem Vortrag Ergebnisse der Untersuchung der sogenannten „Monetarmünzen“ vorstellte, die zwischen 580 und 674 geprägt wurden und eine Verrechnungs- und Einhebungseinheit für die staatliche Abgabenerhebung waren. Die Prägeorte der Monetarmünzen waren dabei stets wirtschaftliche und politische Zentren kleinräumiger Einheiten, die in vielen Fällen orts-, und in nicht wenigen Fällen auch namensgleich mit den spätantiken, galloromanischen civitates waren. Betrachte man das ganze Gebiet des spätantiken Gallien westlich des Rheins, müsse man insgesamt von einem Fortdauern römischer Staatlichkeit in hohem Maße ausgehen.

Der erste Konferenztag wurde mit einem öffentlichen Abendvortrag von JÜRGEN KUNOW (Bonn) beschlossen. Anschaulich berichtete er über den aktuellen Stand des Antrages, den niedergermanischen Limes in die Liste des UNESCO-Welterbes aufnehmen zu lassen.

Der zweite Konferenztag wurde durch HILTRUD MERTEN (Trier) eröffnet, die über die Ergebnisse der Untersuchung frühchristlicher Grabinschriften aus Trier berichtete. Durch die für den gallischen Raum exzeptionell hohe Anzahl an Grabinschriftenfunden (1300, vor allem aus dem 4./5. Jahrhundert) könnten am Beispiel Trier die Entwicklung des Namenbestandes, des Inschriftenformulars und letztlich die Struktur einer frühchristlichen Gemeinde im zeitlichen Verlauf untersucht werden. Bezüglich des Formulars und des Trägermaterials, üblicherweise Marmor, ließen sich dabei kaum Änderungen feststellen, das Formular wurde im Laufe der Zeit lediglich etwas komplexer. Eine quantitative Abnahme christlicher Grabinschriften in Trier sei für das 6. Jahrhundert zu konstatieren. Seit dem 7. Jahrhundert nähme die Zahl germanischstämmiger Namen in den Inschriften zu, romanischstämmige Namen bleiben aber deutlich in der Überzahl. Ausweislich des epigraphischen Befundes der Grabinschriften in Trier habe sich bis in die Karolingerzeit eine „Romanitas“ in spätantiker Tradition ungebrochen gehalten.

CHRISTIAN WITSCHEL (Heidelberg) bot im Anschluss wieder einen großen räumlichen Überblick über Gallien, das Voralpengebiet und das Gebiet der oberen Donau. Objekt der Untersuchung waren dabei die römischen civitates. Bei allen Unterschieden ließen sich doch einige allgemeine Aussagen wagen: Zunächst einmal sei an vielen Orten ab dem 4. Jahrhundert eine Reduzierung der Siedlungsfläche und der Bau einer Befestigung festzustellen. Diese Änderungen in der Siedlungsstruktur gingen oft mit einer Verarmung des materiellen Befundes einher. Eine solche materielle Verarmung sei aber an einigen Orten bereits seit dem Ende des 2. Jahrhunderts nachweisbar. Die Hauptstädte, namentlich Trier und Ravenna, hielten gleichwohl ungebrochen ein imperiales Gepränge aufrecht. Die römische, städtische Zivilisation wurde nach Rückzug der Armeen, wenigstens partiell, fortgesetzt. Insgesamt müsse für ein volles Verständnis der spätantiken und frühmittelalterlichen Wandlungsprozesse stark regional differenziert werden. Am längsten gehalten hätten sich spätantike Merkmale der Verwaltung und des städtischen Lebens sowohl in funktionierenden Großzusammenhängen, in denen römisches Militär präsent blieb, als auch in geographisch geschützten und verkehrsmäßig eher isolierten Gebieten.

STEVE BÖDECKER (Bonn) sprach über die spätantiken Befestigungsanlagen am Niederrhein. Für das Kastell bei Bonn sei ab 375 eine komplette zivile Überbauung der vorhergehenden Militärarchitektur festzustellen. Bei allen seit der mittleren Kaiserzeit bestehenden Kastellen den Rhein abwärts bis einschließlich Nijmegen wurden umfangreiche Verstärkungen der Befestigungsanlagen nach spätantiker Manier belegt. Dezidierte Festungsneubauten im spätantiken Stil waren nur die Festung in Deutz und die heute als Haus Bürgel bekannte Anlage. Damit stehe der Niederrhein im deutlichen Kontrast zum Donauraum, wo im 4. Jahrhundert wesentlich mehr Festungen komplett neu errichtet worden seien. Im Mündungsgebiet des Rheins konnten bisher keine spätantiken Befestigungsmaßnahmen nachgewiesen werden.

Die Nutzung des Rheins beleuchtete anschließend MANUELA MIRSCHENZ (Bonn). Um diese angemessen verstehen zu können, sei zunächst einmal der Wandel des Rheinverlaufs zu rekonstruieren gewesen. Ergebnis dieser Untersuchungen war, dass die Römer für die Nutzung als Hafen von Natur aus dafür geeignete Stellen bevorzugten, die sie in seltenen Fällen durch den Bau von Molen modifizierten. Im Allgemeinen wurden die Hafenanlagen bei Bevölkerungszentren wie Bonn, Köln und Xanten durchgehend erneuert, während rein militärisch genutzte Landestellen gelegentlich auch wieder aufgegeben wurden. An vielen römischen Hafenstellen sind seit dem Mittelalter städtische Siedlungen nachweisbar.

MARION BRÜGGLER (Xanten) stellte Ergebnisse der archäologischen Untersuchung der spätantiken Glasbläsereien im Hambacher Forst und in Asperden vor, deren Produkte entlang des ganzen Rheins verteilt wurden. Im Hambacher Forst und Asperden wurde importiertes Rohglas aufgeschmolzen und zu den Endprodukten verarbeitet, was in Asperden nachweislich noch um 425 geschah. Insgesamt blieb der Niederrhein in der Spätantike ein Zentrum der Glasherstellung.

HENDRIK HESS (Bonn) rekonstruierte anhand ausgewählter Beispiele vornehmlich aus der Briefsammlung des Sidonius Apollinaris den komplexen Standpunkt, den Angehörige der galloromanischen Oberschicht im Laufe des 5. Jahrhunderts in Bezug auf die neuen „barbarischen“ Machthaber einnehmen mussten, die aber auch eine vollendete „Latinitas“ zur Schau stellen konnten. Für Sidonius Apollinaris stellte sich dieses Problem nachhaltig, als sein Bischofssitz Clermont unter visigotische Herrschaft geriet. Ihm und vielen seiner Standesgenossen war es letztlich möglich, sich mit der politischen Fragmentierung des Römischen Reiches abzufinden und sich pragmatisch in die Herrschaft der neuen, „barbarischen“ reges einzupassen.

Die Tagung wurde mit einer Podiumsdiskussion beschlossen. Vor der Diskussion stellte WOLFGANG HAUBRICHS (Saarbrücken) die sprachgeschichtlichen Aspekte des Übergangs von Spätantike zu Frühmittelalter dar. Diese Phase sei durch eine romanisch-germanische Bilingualität geprägt gewesen, die sich bis 1000 mit der Ausbildung einer klaren Sprachgrenze aufgelöst habe.

Die eigentliche Podiumsdiskussion wurde dann um drei Kernfragen herum entwickelt. Zuerst wurde nach der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in den Entwicklungen um 500 gefragt, aber auch nach dem Einfluss, den bestimmte Quellen und Quellenarten, archäologische und schriftliche, auf die wissenschaftliche Rekonstruktion der Vergangenheit haben. Der zweite Fragenkomplex bezog sich auf den Vergleich des Rheinlandes mit anderen Regionen des sich transformierenden Römischen Reiches, während der dritte Komplex nach der Entwicklung und gegebenenfalls Auflösung der römischen Reichsgrenze am Rhein fragte.

Die Vorträge und die Diskussion haben ein differenziertes Licht auf die komplexen Entwicklungen und Wandlungsprozesse geworfen, die das Rheinland zwischen dem 4. und dem 7. Jahrhundert prägten. Ein hohes Maß an Kontinuität in kultureller und verwaltungstechnischer Hinsicht kontrastierte dabei mit einer nachweisbaren materiellen Verarmung, die aber regional unterschiedlich ausgeprägt war. Zugleich übernahmen in überschaubaren Regionen nach dem Rückzug römischer Staatlichkeit einzelne Machthaber die Aufgabe, Frieden und Sicherheit zu gewährleisten, die sich als rex sowohl in germanische wie auch in römische Traditionslinien stellten. Die Kultur des Rheinlandes wurde dabei im 5. und 6. Jahrhundert durch germanische Personen- und Ortsnamen sowie durch germanische Trachtbestandteile bereichert, ohne aber ihr ursprünglich galloromanisches Gepräge je gänzlich zu verlieren.

Konferenzübersicht:

Alheydis Plassmann (Bonn) – Einführung

Matthias Becher (Bonn) – Kontinuität und Diskontinuität von der Spätantike zum Frühmittelalter

Mischa Meier (Tübingen) – Der „letzte Römer“? Zur ‚imperialen‘ Politik des Aetius

Andreas Popescu (Kamp-Lintfort) – Die Lex Salica und die fränkische Identität

Gertrud Kuhnle (Straßburg) – Römische Kontinuität am Oberrhein: Das Legionslager in Straßburg

Stefan Ciesielski (Bonn) – Römer und Germanen - Neues von der Nekropole am Bonner Legionslager

Jürgen Strothmann (Siegen) – Der Rhein als Grenze. Das Rheinland als Teil Galliens im 7. Jahrhundert nach Ausweis der Merowingischen Monetarmünzen

Jahreshauptversammlung des Vereins für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande

Öffentlicher Abendvortrag
Jürgen Kunow (Bonn) – Der Niedergermanische Limes auf dem Weg zum UNESCO-Welterbe

Hiltrud Merten (Trier) – Frühchristliche Inschriften in Trier

Christian Witschel (Heidelberg) – Die civitates am Rhein, im Voralpengebiet und an der oberen Donau am Übergang zwischen Spätantike und Frühmittelalter

Steve Bödecker (Bonn) – Ein „Schmuckstück der Grenzen…“ (Pan. 6,13,1)? Der Niedergermanische Limes zwischen Postumus und Theodosius

Manuela Mirschenz (Bonn) – Häfen und Anlandestellen im römischen Rheinland

Marion Brüggler (Xanten) – Spätantike Glasherstellung im Rheinland

Hendrik Hess (Bonn) – Gallien und das Rheinland: Die Franken im Spiegel gallischer Briefsammlungen zwischen Spätantike und Frühmittelalter

Podiumsdiskussion
Sebatian Ristow (LVR Archäologische Zone, Köln), Matthias Becher (Bonn), Wolfgang Haubrichs ( Saarbrücken), Jennifer Morscheiser (Overath), Christian Witschel (Heidelberg)